Essen ist politisch
Wann der richtige Moment ist, laut zu sein und was die Laus dazu zu sagen hat
Von Selina Walter
Ich steh da mit meiner kleinen Tochter an der Hand in einer Halle mit riesigen Maschinen. Auf einem Flachbildschirm sehen wir, wie ein Kran Heu auf ein Förderband legt, das dann vor reihenweise Kühen ausgeschüttet wird. Am Morgen bin ich noch im Stall gestanden und habe unsere Hochlandrinder mit der Heugabel gefüttert. Ich habe mit ihnen gesprochen, sie kennen meine Stimme. Die Kühe im Film hören wohl nur Maschinenlärm. Und der Bauer? Kennt er den Ton des Muhens nur noch aus seiner Kindheit?
Für mich sind die Tiergeräusche etwas vom Schönsten am bäuerlichen Leben. Das sonore Muhen der Leitkuh Umbra, wenn sie mich kommen sieht, Luckys klangvoller Hahnenschrei aus der Ferne, das Blöken der Schafe, wenn ich auf sie zukomme und das Schnurren unserer Tigerkatze, wenn sie mir um die Beine streicht. Ich spreche mit allen. Ich bin für alle da. Und nun stehen wir in dieser Messehalle „Tier & Technik“ in St. Gallen, denn wir brauchen einen neuen Stall. Und meine kleine Tochter wollte Gitzi streicheln. Die suchen wir vergeblich. Es hat nur eine Halle mit Hochleistungskühen, hornlos, angekettet. Irgendwelche Preise haben sie wohl gewonnen, aber sicher nicht den Tierwohl-Preis.
Wer hat da noch den Überblick?
Die Ausmaẞe der industriellen Landwirtschaft erschrecken mich. Mir ist klar: Das will ich sicher nicht. Aber offensichtlich ist es das, was Bauern heute machen müssen, um überleben zu können: vor allem auf Maschinen sitzen und diese instand halten. Wo bleibt da der Bezug zum Tier? Bei welcher Anzahl Tiere behält ein Mensch noch den Überblick? Früher als Lehrerin hatte ich maximal 3 Schulklassen, also auf ca. 75 Schüler*innen konnte ich eingehen. Dann hörts wohl auf, oder?
Die Beziehung zum Tier ist der Schlüssel zur Wertschätzung tierischer Nahrungsmittel. Wir dürfen sie nicht durch Maschinen ersetzen. Wie sollen wir von den Konsument*innen Wertschätzung gegenüber Nahrungsmitteln erwarten, wenn so viele von uns Landwirt*innen im Begriffe sind, sie zu verlieren? Wir sind die Schlüsselstelle, dass die Wertschätzung der Nahrungsmittel und der Tiere und Pflanzen und des Bodens wieder natürlich wird. Dieses ursprüngliche, bäuerliche Arbeiten mit der Natur muss jedoch von der Politik wertgeschätzt und gefördert werden, damit wir überhaupt eine Existenzgrundlage haben und nicht gezwungen sind, auf Industrie und Ausbeutung umzusatteln. Es braucht eine Agrarwende auf politischer Ebene.
Essen ist politisch
Am 22. Februar reise ich nach Bern. Da findet eine Demo statt unter dem Titel „Essen ist politisch“, organisiert von landwirtschaftmitzukunft.ch Es ist strahlend blaues Wetter, an dem man gut draussen arbeiten könnte. Ich stehe unter 2000 Menschen in meiner Arbeitshose auf der Schützenmatte Bern und merke, dass die meisten wohl eher Konsument*innen sind. Aber das ist gut so, die braucht es, dass sich etwas verändern kann. Karren mit Gemüse und einer gebastelten, überdimensionierten Karotte werden gezogen. Auf Kartons und Transparenten stehen Slogans wie: „Sieht die Laus dich vom Salat her an, weisst du, es ist kein Spritzmittel dran“ oder „Krumme Rüebli*, wirrer Kohl, brecht das Saatgutmonopol“. Aus der Bauernfraktion treffe ich ein paar vertraute Gesichter wie Armin Capaul und Walter Stappung. Aber auch ganz viele Jugendliche sind da. Wir marschieren los, eine fantastische Frauenband mit Drums gibt den Takt an. Mein Herz schlägt höher. Rundum strahlende Gesichter, ich spüre eine enorme Energie.
4500 Menschen, eine Vision
Angekommen beim Bundesplatz** sind wir 4500 Gleichgesinnte. Die Stimmung ist kochend, genährt von Wut und Wille. Die Überzeugung, dass sich etwas verändern kann, ist auch in den Reden spürbar: Jelena Filipovic, eine der Hauptorganisatorinnen, bringt es auf den Punkt: „Wir können die Welt mit gesundem Essen ernähren, wir haben es nur verlernt und wir müssen es wollen.“ Olga, eine Berner Bäuerin erklärt, warum die Laus auf ihrem Salat ein Qualitätsmerkmal ist: „Die Laus kannst du wegwaschen, die Pestizide nicht.“
Die Organisationsgruppe Landwirtschaftmitzukunft hat eine Vision 2030 ausgearbeitet, wie die Landwirtschaft und das Ernährungssystem in 10 Jahren aussehen könnten: sozial, bäuerlich, agrarökologisch. Nach den darin erarbeiteten Richtlinien soll sich die industrielle Landwirtschaft gar nicht mehr lohnen, da sie nicht mehr subventioniert wird mit dem Argument, dass sie nicht zukunftsfähig ist. Stattdessen sollen die kleinen und mittleren Betriebe, die z.B. Humusaufbau betreiben, mehr unterstützt werden. Diese Vision wird an zwei Parlamentarier*innen überreicht. Einer von ihnen ist Kilian Baumann von den Grünen, der auch Biobauer ist. Er sagt:“Unsere Landwirtschaftspolitik ist in einer Sackgasse. Die Bauern müssen immer intensiver und mehr produzieren. Darunter leiden u.a. die Böden und Gewässer. Jetzt müssen wir einen Wandel erreichen, dass wir die Landwirtschaftspolitik nachhaltiger ausgestalten können.“
100 Kilometer mit dem Mäher an die Demo
In Gedanken bin ich zurück bei den Riesenmaschinen. Im selben Moment erblicke ich auf dem Bundesplatz einen Reform Zweiachsmäher. Er gehört dem Bio-Landwirt Guido Winterberg. Er hat ihn in Eigeninitiative zum Elektrofahrzeug umgerüstet und benutzt ihn schon seit 2 Jahren für verschiedene Arbeiten. Solches Engagement müsste doch subventioniert werden! Winterberg ist mit seinem Elektrofahrzeug, das er nota bene mit Solarstrom vom eigenen Dach speist, über 100 Kilometer aus Sarmenstorf im Kanton Aargau angefahren. Es gibt Lösungen! Aber wir müssen wollen. Und unsere Sichtweise klarmachen. Laut sein. Nicht mit Maschinen, sondern mit unseren Stimmen. SP-Politikerin Martina Munz sprach zu den Demonstrierenden: „Danke, dass Sie hier sind. Der Druck der Straẞe hat Einfluss auf die Politik“. Wir müssen fühlen, denken, reden und handeln. Ich möchte hiermit alle Demeterbäuerinnen und Bauern bitten, nehmt Teil an dieser Diskussion, die jetzt im Gange ist. Geht auch bei schönem Wetter an Versammlungen und sprecht über eure Gefühle und Gedanken, sie werden gehört. Wir leben in einer aufregenden Epoche, in der sich gerade viel bewegt. Wir sind nicht ein paar einzelne Freaks. Wir sind die Zukunft. Wir und die Kinder an unserer Hand.
*Karotten
** Schweizer Regierungssitz
Zur Autorin:
Selina Walter bewirtschaftet mit ihrer Familie den kleinen Bergbetrieb Highlandhof im Kanton St. Gallen in der Schweiz nach biodynamischen Richtlinien. Sie ist freischaffende Journalistin und als Bäuerin quer eingestiegen. Sie möchte mit ihrem Lebensstil Verantwortung für einen kleinen Teil dieses Planeten übernehmen.
Die Gedanken von Selina Walter unterstütze ich zu 100%. Es braucht den Willen um etwas zu ändern und zum Glück gibt es immer wieder solche Menschen die es anpacken!