Innovation, Zukunft, Landwirtschaft

Ein schwarzer Schwan ist aufgetaucht. Und er verheißt Gutes.

Wie wir diese außergewöhnliche Zeit nutzen können, um eine bessere Zukunft zu gestalten.

Der Zustand, den wir gerade haben, bezeichnet man als „Black Swan“-Situation. Was ist das? Ein schwarzer Schwan ist ein unvorhergesehenes, äußerst seltenes Ereignis, welches gesellschaftlichen Entwicklungen eine entscheidende Wende gibt.

Die Bezeichnung „schwarzer Schwan“ für äußerst unwahrscheinliche Ereignisse geht aufs Mittelalter zurück. Die Existenz schwarzer Schwäne wurde stark bezweifelt. Schwarze Schwäne verhießen nichts Gutes. Und da nicht sein kann, was nicht sein darf, wurden Menschen, die von Sichtungen schwarzer Schwäne berichteten, gern auch mal gefoltert.

Wer noch vor wenigen Wochen behauptet hätte, die ganze Welt würde in einen Winterschlaf fallen, wäre zwar hierzulande nicht mehr gefoltert worden. Ausgelacht hätte man sie oder ihn aber vermutlich schon.

Nun steht sie still. Die Welt. Die gesamte Wirtschaft ist in einen Dornröschenschlaf gefallen. Plötzlich zeigt sich, welche Berufe systemrelevant sind, wer die Gesellschaft zusammenhält. Nicht etwa die Schlips tragenden Männer in den Bankentürmen, die Hedgefontsmanager oder Immobilienmakler. Es sind die, die sich um uns kümmern. Die uns gesund halten oder machen, die uns satt machen. Kaum einer dieser Berufe ist sonderlich gut bezahlt. Aber was vor allem auffällt: 75% der systemrelevanten Stellen sind von Frauen besetzt. Corona macht Dinge sichtbar. Lasst uns die Augen auf halten!

Warum ich das schreibe? Abgesehen davon, dass viele Menschen jetzt wirklich gesundheitlich oder emotional leiden, Existenzen bedroht sind oder zerstört werden, bietet diese außergewöhnliche Zeit faszinierende Chancen und neue Räume, die wir gestalten können.

Man hört vielerorts, wie Menschen einfach nur hoffen, dass diese Zeit vorübergeht. Dass man endlich zurück auf „normal“ schalten kann. Aber wenn ich ein Versprechen abgeben dürfte, dann das, dass nach der Corona-Zeit das alte „Normal“ nicht wiederkommen wird. Die Welt wird eine andere sein.

In der Landwirtschaft ist dies grad gar nicht so spürbar wie in den Städten, wo zur Zeit alles still steht. Meine Freund:innen und Partner:innen auf den Betrieben spüren z.T. gar keine Veränderung. Außer vielleicht, dass die Ferienwohnungen grad nicht belegt sind. Landwirtschaft scheint im Hinblick auf Ereignisse wie dieses krisenfest zu sein. Das ist beruhigend.

Trotzdem möchte ich motivieren, diese Chance zu nutzen. Nicht nur, indem man sich selbst vor Augen führt, wie sinnhaft die eigene Tätigkeit tatsächlich ist, welchen (gesellschaftlichen) Mehrwert und Beitrag man leistet, sondern auch, indem man nun diesen Stillstand nutzt, um sich selbst zu bewegen. Denn jetzt, wo alles fast zurück auf Null gegangen ist, haben wir alle die besten Voraussetzungen, die Zukunft mitzugestalten. Werden wir also aktiv und werden wir zu Ko-Kreator:innen für ein besseres Morgen!

Ein Instrument zur Zukunftsgestaltung

Wie das geht?

Nun, hierfür gibt es ein ganz schönes Instrument, das ich hier einmal in aller Kürze vorstellen möchte. Es nennt sich Effectuation. Das ist ein Kunstwort und könnte grob mit „Wirksamkeit“ oder „Bewirken“ übersetzt werden. Effectuation entstammt den Kognitionswissenschaften. Die indisch-amerikanische Kognitionswissenschaftlerin Saras Sarasvathy wollte herausfinden, ob es Menschen, die in ihrem Leben durch ihr eigeninitiatives Handeln und Tun in unsicheren Zeiten besonders viel bewirkt haben, also durch ihre Unternehmungen (im wirtschaftlichen wie im nicht-wirtschaftlichen Sinne), vielleicht einem gewissen intuitiven Muster folgen. Ob man von ihnen lernen kann. Gar Prinzipien ableiten kann, die man in sein eigenes Denken und Handeln mit aufnehmen kann.

Lange Geschichte kurz – die Antwort ist: ja!

Sarasvathy hat verschiedene Gemeinsamkeiten entdeckt, wie Menschen, die in unsicheren Zeiten besonders viel bewirken, handlungsfähig wurden oder blieben. Und zwar da, wo klassisches linear-kausales Denken nicht mehr funktionierte.

Um das mal auf den Punkt zu bringen – die größte Gemeinsamkeit war: Sie mochten keine Pläne!

Ihnen war klar: Pläne scheitern. Je unsicherer die Zeiten, desto unsinniger sind Pläne. Denn Pläne orientieren sich an klar definierten Zielen und sind nicht in der Lage, das Unvorhergesehene mit einzukalkulieren. Dann lassen wir das doch einfach weg. Konzentrieren wir uns also lieber auf das, was wir haben: auf unsere Mittel!

Kleiner Vergleich: Ein Plan ist wie Kochen nach Rezept. Man schaut ins Rezeptbuch, geht los, organisiert die Zutaten. Daran ist so lange nichts falsch, bis etwas eintritt, das man nicht mit eingeplant hat. Es gibt eine wichtige Zutat nicht oder eine befreundete Familie kündigt sich spontan an und zack! wird der Plan unwirksam.

Ein Effectuator schaut nicht ins Rezeptbuch

Ein Effectuator schaut nicht ins Rezeptbuch. Er öffnet den Kühlschrank und schaut, was drin ist. Dann nimmt er die Zutaten und schaut, was er daraus machen kann. Die Möglichkeiten werden plötzlich sehr vielfältig. Statt eines fixen Rezepts eröffnet sich jetzt eine Vielzahl von Möglichkeiten. Effectuation konzentriert sich also nicht auf die Ziele sondern auf die Mittel.

Entsprechend muss er auch nicht zur Bank gehen und aberwitzige Summen aufnehmen, damit er irgendwelche präzise durchkalkulierten Pläne, die möglicherweise von einer Krise wie der derzeitigen durchkreuzt werden, verfolgen kann. Und dann auf seinen Schulden festsitzt. Er schaut, was er hat und was er damit machen kann.

Also noch mal:

Wer in solch dynamischen Zeiten handlungsfähig sein will, sollte keine starren Pläne machen. Stattdessen sollte man schauen, was wir haben um damit ins Handeln und Gestalten zu kommen.

Dazu gehören nicht bloß finanzielle oder materielle Mittel wie etwa eine leer stehende Scheune. Dazu gehören genau so das Wissen, das wir haben, die Werte, die wir vertreten, die Menschen, die wir kennen. Das Prinzip nennt sich:

„Bird in the Hand“-Prinzip.

Es leitet sich ab von dem Sprichwort: „Besser ein Spatz in der Hand, als eine Taube auf dem Dach.“

Ein weiteres Prinzip lautet:

„Limonaden-Prinzip“.

Es leitet sich von dem Spruch ab: „Wenn das Leben dir eine Zitrone gibt, mach Limonade draus“. Statt das Unvorhergesehene zu vermeiden oder zu umschiffen, schaut man lieber, ob man es zu seinem Vorteil nutzen kann. Also quasi aus der Not eine Tugend machen. Es ist wie beim Segeln. Wenn der Wind dreht, versucht man nicht starr gegen zu halten, weil man unbedingt sein Ziel erreichen will. Man setzt stattdessen die Segel anders und schaut, welcher Kurs sich unter den veränderten Bedingungen nun besser eignet. Vielleicht führt er einen an Orte, die man noch nicht kennt. Hier kann man wieder schauen, was es dort gibt und wen man dort trifft.

Apropos treffen – das nächste Prinzip nennt sich:

„Crazy Quilt“ – Flickenteppich.

Denn nach diesem Prinzip sucht man nicht gezielt nach Menschen, die exakt das können, was wir grad brauchen. Es empfiehlt, sich einfach mal einzulassen auf das, was die Menschen sagen, können und mitbringen, statt gezielt nach Schubladen zu suchen. Hier geht es ganz stark um die Motivation der Menschen, zu gestalten. Wer Lust hat, mitzugestalten, ist herzlich willkommen. Zusammen gestaltet man vielleicht nicht mehr das, was man ursprünglich vor hatte. Dafür kann man mit diesen Menschen wiederum Neuland betreten, etwas erdenken, das vorher nicht denkbar war.

Und das letzte Prinzip lautet:

„Leistbarer Verlust“.

Viele Menschen glauben dass die, die aufbrechen, Neues entdecken oder erschaffen wollen, absolute Draufgänger sind und voller Mut, Ideen und Risikobereitschaft sind. Aber das stimmt nicht ganz. Menschen, die sich aufmachen, um Neues zu erschaffen, wissen zwar nicht, was sie erwartet. Aber sie wissen ganz genau, welchen Einsatz sie erbringen können, um das Risiko gering zu halten. Sie setzen nur das ein, was sie sich einzusetzen leisten können. Das kann Zeit sein, das kann Wissen sein, das kann die leer stehende, alte Scheune sein, das übrig gebliebene Saatgut oder der längst nicht mehr benutzte alte Backofen. Sie kalkulieren nicht, was ein möglicher Ertrag sein könnte. Sondern schauen, was sie verlieren können. Dadurch verringert sich das Risiko in den ersten Schritten immens. Erst in den nächsten Schritten, wenn sie gemerkt haben, dass sie vielleicht auf einem guten Weg sind, setzen sie mehr ein oder besorgen sich neue Mittel.

Wer diese vier Prinzipien in Zeiten solch hoher Ungewissheit einsetzt, statt starre Pläne zu machen, wird deutlich handlungsfähiger und hat gute Chancen, die Zukunft mitzugestalten.

Die Fragen, die wir uns jetzt also stellen sollten, sollten nicht primär „Wann ist diese Krise wieder vorbei?“ oder „Wer leiht mir jetzt Geld um zu überleben?“ sein, sondern:

„Wer bin ich?“,
„Was kann ich?“ und
„Wen kenne ich?“

– Und wie kann ich hieraus etwas Neues gestalten, das mir hilft, die Bewältigung dieser Krise selbst in die Hand zu nehmen.

Sie werden überrascht sein: Ein paar Tage drüber nachdenken und Sie kommen auf ganz neue Gedanken.

In diesem Sinne, schönes Zukunftgestalten, frohe Ostern und bleiben Sie gesund!

Ihr Simon Steiner

 

Simon ist Innovationsstratege und Dozent für Innovation und nachhaltiges Unternehmertum. Aufgewachsen auf einem Demeter-Hof in Schleswig-Holstein haben ihn die Prinzipien des biodynamischen Wirtschaftens immer begleitet und die Ganzheitlichkeit eines Demeter-Hofes war stets eine wichtige Inspirationsquelle für sein Handeln. 2008 hat er Die Präparatekiste zusammen mit dem Demeter-Landwirt Wedig von Bonin ins Leben gerufen und betreibt sie heute als Kollektiv zusammen mit zahlreichen Akteur:innen im deutschsprachigen Raum. Direkt an der Schnittstelle von Demeter-Landwirtschaft, Forschung, Innovation und Unternehmertum schreibt Simon nun für den Präparatebrief die Kolumne „Innovation, Zukunft, Landwirtschaft“. Ein oft ungewohnter Blick und manchmal eine unbequeme Meinung. Aber stets pragmatisch und mit der Zukunft im Blick.

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3 Kommentare
  • Guten Tag,
    Ich wünschte, Sie als kluger Kopf wären mit in einer entsprechenden Position , um dieses Land auf Kurs zu bringen für eine verantwortungsvollere Zukunft auf den gesamten Ebenen
    Herzliche Grüße
    Claudia Schmidt

    Claudia Schmidt am
  • Es ist ene naturharmonisierte Philosophie und daher der beste, nach meiner Meinunng. Ich bin Georgier und wohne in Georgien, also andere Mentalität, ganz andere Sitten hier im unterschied mit Europeischen, aber die Natur ist überall gleich, und die Sonne scheint für jeder gleich. Danke

    Mamulaishvili David am
  • Sehr gut das es eich gibt und ihr auch einen Standpunkt aktiv vertretet. Ich beobachte auch die unglaubliche Kreativität die jetzt auftaucht bei den Menschen und zwar nicht nur zur Steigerung des Wirtschaftswachstums sondern zur Hilfe und Menschlichkeit. Mich hat das buch von Hildegard kurt: wachsen, über das Geistige in der Nachhaltigkeit – sehr inspiriert.

    hans am

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