Mehr Brüderlichkeit wagen! – Innovation, Zukunft, Landwirtschaft

Innovation, Zukunft, Landwirtschaft

Mehr Brüderlichkeit wagen


Warum die Prinzipien des Assoziativen Wirtschaftens aktueller sind, denn je.

Kolumne von Simon Steiner

 

Manch ein Gedanke, der in der Entstehung der Biodynamik gedacht wurde, erfährt heute eine bemerkenswerte Beachtung. Besonders, wenn es um die Frage geht, wie wir in Zukunft leben wollen. Etwa der Aspekt der Kreislaufwirtschaft, der derzeit in aller Munde ist, ist seit jeher ein elementarer Bestandteil eines jeden Demeter-Betriebes und ein Grundstein der biodynamischen Wirtschaftsweise.

Weniger im alltäglichen Handeln der biodynamischen Akteure verankert, ist das Prinzip der Brüderlichkeit.

Mein Freund und Mentor, Wedig von Bonin, hat mich an die Soziale Dreigliederung herangeführt: Gleichheit gelte im Rechtsleben, Freiheit im Geistesleben und Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben.

Ich erinnere mich noch genau, an welchem Ort auf seinem Hof Eichwerder wir standen, als er versuchte, mir weiszumachen, dass in der Wirtschaft das Prinzip der Brüderlichkeit und nicht das der Konkurrenz gelten solle.

"Konkurrenz belebt doch das Geschäft", dachte ich. So wurde es mir jedenfalls stets eingebläut. Das ist auch grundsätzlich nicht falsch, kann doch ein gewisser Wettbewerbsgedanke eine positive Auswirkung auf das Ideenreichtum der Menschen und die Entwicklung von Organisationen haben.

Per se ist Konkurrenz auch nichts Schlechtes und etwas vollkommen Natürliches. Der Begriff kommt vom lateinischen „con-currere“ was eigentlich „miteinander laufen“ bedeutet. Also im Wortsinn der Bedeutung der Kooperation sehr nahe ist. Die Konkurrenz, die in unserem Marktgeschehen aber alltäglich passiert, ist eher ein „gegeneinander laufen“. Man möchte sich gegenseitig schaden. „Kontrakurrenz“ wäre hier also ein treffenderer Begriff.

Zurück zur Brüderlichkeit. Wieso soll diese im Wirtschaftsleben so gut sein und was genau soll das eigentlich heißen?

Erst einmal: Brüderlichkeit ist natürlich gleich Schwesterlichkeit, ist gleich Geschwisterlichkeit!

Der Begriff Brüderlichkeit taucht vielerorts auf: Von Platon über die Stoa und verschiedene Religionen, die Französische Revolution, Marx und nicht zuletzt die UN-Menschenrechtscharta: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen sich zueinander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen“.

Einfach gesagt bedeutet Brüderlichkeit, Andere als seine Verwandten zu betrachten. Wenn auch unter Geschwistern viel gezankt wird, so ist man in Liebe verbunden und füreinander da. Man hilft sich in schweren Situationen und unterstützt einander, ein gutes Leben zu führen, Bedürfnisse zu befriedigen und individuelle oder gemeinschaftliche (familiäre) Ziele zu erreichen. Ich bitte Sie, einmal kurz innezuhalten und sich dies für eine Wirtschaft vorzustellen…

Ja, das sind schöne Gedanken!

Und doch greift man in der Wirtschaft überproportional auf ein un-geschwisterliches Konkurrenzdenken zurück. Auch ich kenne das. Entsteht doch schnell ein sportlicher Ehrgeiz, sich mit anderen Wirtschafttreibenden zu messen. Dieser Ehrgeiz artet aber leider häufig in eine unfaire Unsportlichkeit aus. Man möchte „die Anderen“ in die Pfanne hauen, ihnen Marktanteile abluchsen, manchmal mit unschönen Mitteln. Vor allem aber möchte man sie nicht unterstützen, selbst wenn sie dasselbe Ziel haben. Man traut ihnen einfach nicht über den Weg.

Warum aber arbeiten wir nicht viel öfter zusammen, teilen unser Wissen und unsere Ressourcen – und kommen damit schneller und einfacher voran? Nicht nur wir selbst, sondern wir als Gemeinschaft. Sollte wirtschaftliches Handeln nicht dem Gemeinwohl dienen und nicht dem Selbstzweck?

Nun, hier kann man jetzt tief in die Markttheorien einsteigen, aber das ginge zu weit. Prinzipiell kann man aber der vorherrschenden neoklassischen Ökonomie einen großen Teil der „Schuld“ zuschieben, denn diese basiert auf der beschämend simplen Theorie des rationalen und egoistischen „Homo Oeconomicus“ – dem ökonomischen Menschen. Eine verallgemeinernde Darstellung aller Marktteilnehmenden, die stets auf den eignen Vorteil bedacht sind und ihren persönlichen Nutzen rücksichtslos über den der Anderen stellen und diesen maximieren wollen.

Diese eindimensionale Logik wird bis heute an den Hochschulen gelehrt und ist somit nach wie vor elementare unternehmenskulturelle Grundlage in den meisten Firmen und Betrieben. Finanzielles Gewinnstreben steht über allem. Und finanzieller Gewinn ist die Maßeinheit für Erfolg.

Aber: „was wir messen, beeinflusst, was wir tun. Und wenn wir das Falsche messen, werden wir das Falsche tun!“ Das sagte der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz.
Wer also bloß finanziellen Gewinn misst, wird auch nur diesen als Erfolgsindikator sehen und viele andere Aspekte eines guten Lebens außer Acht lassen. Wer finanziellen Gewinn vorweisen kann, sieht sich in der egoistischen Denkweise des Homo Oeconomicus legitimiert und damit im Recht. Nur ist hier zu überlegen, ob mit dem reinen finanziellen Gewinn eben nicht das Falsche gemessen wird. Oder jedenfalls nicht genügend gemessen wird, um sagen zu können, ob es das Richtige ist, was wir tun.

Wenn wir aber unsere Messsysteme mehr am Wohlergehen der Menschen und des Planeten ausrichten und anstelle des egoistischen Homo Oeconomicus, den Menschen mit seinen Emotionen als soziales Wesen in das Zentrum unseres wirtschaftlichen Handelns stellen, dann verändern sich die Messsysteme und damit auch die Ausrichtung unseres Handelns.

Das Gegenteil von Egoismus und Kon(tra)kurrenz ist Kooperation

Hier kommt nun der menschlichere Gegenentwurf zum Homo Oeconomicus auf die Bildfläche: Der „Homo Cooperativus“ – der kooperierende Mensch.

Dieser ist nicht geleitet von reiner Profitmaximierung sondern vereint auch soziale Leidenschaften in seinen Motiven. „Er strebt nach einem gelingenden Leben im Sinne eines Strebens nach Glück, das unterschiedliche Ziele integriert. Er handelt auch aus Eigennutz – aber eben nicht nur und nicht immer. Der Mensch ist durchaus fähig zu Hilfsbereitschaft, Kooperation, Fairness, Verantwortungsübernahme oder Fürsorge.“ Schreibt Stephan Grabmeier in seinem Buch „Future Business Kompass“.

Es ergibt messbar Sinn, statt gegeneinander, miteinander zu arbeiten!

Nahezu alle großen technischen Entwicklungen basieren auf dem Beitrag vieler. Die Gruppenintelligenz ist höher als jede individuelle Intelligenz. Nachweislich sind Unternehmen, die kooperieren, langlebiger und nachhaltiger, als welche die versuchen sich gegenseitig auszustechen und zu verdrängen. Auch sind ihre Mitarbeitenden zufriedener.

Wir sollten also nicht bloß den Begriff Konkurrenz noch einmal neu für uns definieren, sondern wir sollten uns auch fragen, worum wir konkurrieren. Sind es bloß (finanzielle) Ressourcen, Marktmacht, Status und Ansehen? Oder konkurrieren wir lieber darum, welchen Beitrag wir zum Gemeinwohl leisten?

– Und überbieten uns hier mit positivem Einfluss (Impact), indem wir uns gegenseitig unterstützen und dabei helfen, unsere Ziele zu erreichen. Ohne dabei Raubbau an Planet und Gesellschaft zu leisten.

Für mich ist Letzteres erstrebenswerter. So versuche ich als Mensch aber auch als Unternehmer mein Handeln und Wirken am Gemeinwohl auszurichten, keinen Raubbau zu betreiben, die Infrastruktur der „Präparatekiste“ zu öffnen um hieraus eine Plattform für biodynamische ZUSAMMEN-Arbeit im geschwisterlichen Sinne zu machen.

Ich würde mich freuen, in der biodynamischen Welt mehr Geschwisterlichkeit zu entdecken. Wer also inspirierende Beispiele geschwisterlicher Zusammenarbeit kennt: ich würde mich auch freuen, diese hier in den Kommentaren oder in einer Email zu lesen!

Also: wagen Sie mehr Geschwisterlichkeit!

Und kommen Sie gern auf uns zu, wenn Sie mit uns zusammen arbeiten möchten. Wir sind für jede Form einer wohlwollenden Kooperation offen. Ich bin mir sicher, dass wir viel voneinander lernen und somit ganzheitlich mehr erreichen können!

Mit geschwisterlichen Grüßen,
Ihr Simon Steiner


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2 commentaires
  • Danke für diesen Beitrag. Obwohl dem vermutlich jeder Mensch beistimmen würde, sieht die Welt doch anders aus. Ich denke es hat viel mit Angst zu tun. Angst zu wenig zu bekommen zum Beispiel. Lernen wir unsere Gier zu überwinden und fragen wir uns vermehrt, was wir geben können, so könnte sich etwas ändern. Im Wissen, dass Geben mehr Freude macht als nehmen sollte uns das gelingen. Verstand über Ego?

    Mat le
  • danke simon für diese schöne ermunterung (und erinnerung an wedig)! ich werde diesen gedanken aufgreifen und weiter-leiten und – leben! schöne grüße aus der weinhandwerkerei im österr. weinviertel!

    harald seymann le

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